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A review by mira123
Mein Name ist Lilith by Nikki Marmery
3.0
Ich habe noch während meiner Schulzeit zum ersten Mal von Lilith gehört. Natürlich nicht von meinen Lehrer:innen, dafür von einer anderen Schülerin. Ich war total fasziniert von dieser Figur, die aber damals von der großen Öffentlichkeit noch nicht besonders viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Und bis heute sagt dieser Name wohl den meisten Menschen nichts. Allein deswegen wollte ich diesen Roman lesen. Eine Neuerzählung der Geschichte Liliths? Hell yes! Sehr gerne! Das muss ich lesen und rezensieren, damit so viele Menschen wie möglich erfahren, dass es diese Figur überhaupt gibt.
Dieser Roman erzählt aus der Perspektive Liliths die gesamte (biblische) Menschheitsgeschichte vom Garten Eden über die Arche Noah und Jesus bis hin zu unserer Gegenwart oder knapp davor. Und trotz der Tatsache, dass die meisten erzählten Ereignisse aus der Bibel stammen, schafft es die Autorin trotzdem, andere Kulturen und Religionen mit einzubeziehen und das auf eine überraschend wertschätzende Art. Das hat mich positiv überrascht. Super fand ich auch, dass man am Ende dieses Buches einen historischen Überblick findet, der über verschiedene Handlungsabschnitte aufklärt oder aber auch Gött:innen näher vorstellt, die in der Geschichte zwar genannt aber nicht weiter beschrieben werden.
Was die Geschichte selbst angeht, bin ich leider zwiegespalten. Einerseits mag ich die Grundidee sehr gerne und auch viele Abschnitte der Handlung fand ich schön. Zum Beispiel mochte ich die Liebesgeschichte zwischen Samael und Lilith und mir gefiel es, dass der Mythos von Lilith als kinderstehlende Dämonin hier darauf beruht, dass Lilith den kleinen Kindern vorsang. Weniger toll fand ich, zum Beispiel das Ende, das mich einfach unzufrieden zurückgelassen hat. Vor allem, da ich einfach nicht einsehen kann, inwiefern dieses Ende irgendwas für die Menschheit ändern wird?
Außerdem muss ich hier einfach die fehlenden Graustufen kritisieren. Gerade wenn ich auf die Beschreibung der Männer blicke, musste mir das auffallen - und ehrlich, ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich ein Buch lese und das Gefühl habe, Männer verteidigen zu müssen. Vom christlichen Gott und Adam über Noah und seine Söhne bis hin zu irgendwelchen Nebenfiguren: Die hier vorgestellten Männer sind abgrundtief böse und hassen Frauen, die sie natürlich auch regelmäßig vergewaltigen, um ihren Hass auszudrücken. Die einzige Ausnahmen sind natürlich Samael und noch ein oder zwei andere Männer. Das fand ich schade. Auch ist mir aufgefallen, dass die Autorin zwar durchaus lesbische Frauen erwähnt, Lilith allerdings in ihrem unendlich langen Leben keine Figur findet, die Genderqueer wäre. Das hätte ich persönlich wichtig gefunden, da man diesem Buch sonst leicht vorwerfen könnte (und es in manchen Rezensionen auch tut), dass dieser Roman essentialistisch sei und Frauen auf ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen, reduziert. Was ja in der Realität nicht unbedingt eine Fähigkeit ist, die alle Frauen haben - und umgekehrt macht es einen Menschen ja auch nicht zur Frau, nur weil die Person Kinder bekommen könnte.
Den Schreibstil würde ich über weite Teile als poetisch beschreiben. Das liest sich zwar sehr schön, hat mich aber davon abgehalten, größere Abschnitte unter einmal zu lesen. Denn einfach so treiben lassen, kann man sich bei diesem Schreibstil nicht - du musst immer aktiv mitdenken. Das hat mich persönlich nicht wirklich gestört, wer dieses Buch aber lesen will, sollte genügend Zeit und Energie dafür einplanen.
Mein Fazit? Ein interessanter Roman, der allerdings sein Potential nicht voll ausschöpft.